Preisverleihungen

1. Literaturpreis Luzern 

Für ihren Erstling "Irren ist ärztlich" erhielt Erica 1986 den Literaturpreis Luzern. Dankbar und berührt denkt sie an die Feier zurück, an der Klara Oberholzerr die Laudatio hielt. 


2. Kulturpreis der Stadt Schlieren

Im Mai 2013 erhielt Erica den Kulturpreis der Stadt Schlieren, die 'Goldene Lilie'. Franz Hohler hielt die Laudatio und die Band 'Noi Insieme' (in welcher Menschen mit Beeinträchtigung gemeinsam musizieren) die Erica zusammen mit einer jungen Lehrerin leitete) umrahmte die Feier mit ihrer Musik. 

                    Franz Hohler singt Ericas Lied "Normal",  

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Stadträtin Bea Krebs überreicht Erica die Goldene Lilie,


Die Band 'noi insieme' umrahmt die Feier musikalisch

Laudatio von Franz Hohler

           

      Franz Hohler hält die laudatio - hier ist sie: 


Ansprache Erica Brühlmann-Jecklin "Goldene Lilie" der Stadt Schlieren                                                    31.5.2013


Liebe goldene Lilie von Schlieren,

liebe Festgemeinde,


die Spuren meiner ersten Begegnung mit Erica Brühlmann-Jecklin reichen über 30 Jahre zurück.

1981 gab der Zytglogge-Verlag unter dem Titel "Stägetritte" eine Langspielplatte heraus mit Liedern für und über Aussenseiter und andere Behinderte. Darauf war mein Chanson "Es cheibe Meitli" zu hören, und es  war eingerahmt von zwei Liedern eines andern cheibe Meitli, nämlich von Erica Brühlmann-Jecklin. Da sang eine feine, frische Frauenstimme ein Lied über die Treppenstufen, die einem Menschen im Rollstuhl alles verunmöglichen, worüber normale Menschen gar nicht nachzudenken brauchen, einen Kinobesuch, einen Ausflug mit dem Zug, einen Kirchgang,  schnell auf eine Toilette gehen - das alles geht nicht, denn "s het leider Stäge gha", eben die "Stägetritte", welche der Platte den Titel gaben. Die Stimme klang anmutig, aber sehr bestimmt, man spürte, dass diese Frau genau das meinte, was sie sang, und dass jedes Wort verbindlich war. Es dauerte einen Moment, bis man merkte, dass man soeben einem Protestsong zugehört hatte, einer einzigen Anklage gegen die gesamte Organisation unseres Alltags, die so wenig Rücksicht auf behinderte Menschen nahm. Wir beide stammen aus der Zeit, als die SBB Menschen im Rollstuhl noch in den Gepäckwagen beförderte, wie du es in deinem Lied erwähnt hast. Vor ein paar Tagen war ich in einem Bus der Verkehrsbetriebe Baden unterwegs, wo ich die Aufschrift las:

"Dieser Platz ist für Rollstuhlfahrer reserviert. Den Rollstuhl entgegen der Fahrtrichtung gegen die Haltelehnen oder Rückenlehnen stellen und Bremsen anziehen."

Einmal abgesehen von der fehlenden Rollstuhlfahrerin: Wenn es heute solche Aufschriften und solche Vorrichtungen gibt, dann nicht zuletzt deshalb, weil sich Menschen wie Erica schon seit Jahrzehnten dafür eingesetzt haben, zum Beispiel mit solchen Liedern.

Das zweite Lied auf der Platte trug den verdächtigen Titel "Normal", und statt zu erzählen, was darin vorkommt, singe ich es Ihnen vor, in einer a cappella-Coverversion.


"Normal" 


Und in diesen zwei Liedern, mit denen Erica mein "cheibe Meitli" umklammerte oder umarmte, sind schon die Hauptmotive ihrer Arbeit zu spüren: Anderssein, Behinderung und Aussenseitertum, Ausgrenzung und Beeinträchtigung, der Umgang damit und die Auflehnung dagegen.


Was in ihren Liedern in drei bis vier Minuten, sozusagen in stenographischer Form thematisiert wird, kommt in ihren Büchern ausführlicher zum Wort. "Sofia" ist ein eindrückliches Portrait von Ericas Mutter, ihrer Herkunft und ihres Schicksals, es beginnt bei deren Eltern am Anfang des 20. Jahrhunderts und entfaltet das Bild einer "normalen" Bündner Familie, es ist so etwas wie die Buddenbrooks aus dem Prättigau, aber eben nicht aus dem urbanen Handels- und Kaufmannsmilieu, sondern aus der bäuerlichen, handwerklichen und dörflichen Welt, in welcher das Gespenst der Armut umgeht und "leben" zuerst einmal "überleben" heisst. Musik, Gesang, Volkslieder sind eine wichtige Stütze im täglichen Kampf, gleich im ersten Kapitel singt ein junger Flachmaler im ersten Stock des Hauses, das er neu streichen muss, "Im schönsten Wiesengrunde ist meiner Heimat Haus, da zog ich manche Stunde" und hört bei der Stelle "ins Tal hinaus" aus dem unteren Stock eine Frau die zweite Stimme singen. Er geht hinunter, klopft an, und als er die junge Frau sieht, die ihm die Tür öffnet, da weiss er: Die ist es! So haben sich die Grosseltern kennen gelernt, und die Autorin hält dieses Lied und viele andere, die im Lauf der Geschichte erklingen, auf einer CD fest, die dem Buch beigegeben ist, unterstützt von ihren Kolleginnen vom Trio "Saitensprung", und da lernen wir zum Beispiel ein so welthaltiges Lied kennen wie


"Hunderttuusig Öpfelschnitz

das git en grosse Huufe

wenn eine mol ghürooten isch

denn bruucht er nümme z suufe"



ein Lied, das sich bei Sofias Familie leider nicht bewahrheitet hat.


Erica Brühlmann-Jecklin ist eine begabte, genaue und ebenso unerbittliche wie liebevolle Chronistin, wie sie uns auch in ihrem anrührenden Buch "Alice singt" begegnet. Da hat sie die Lebensgeschichte einer Frau aus ihrem Bekanntenkreis aufgezeichnet, die in ihrer Kindheit als Pflegefall und Verdingkind hin und hergeschoben wurde und sich immer wieder in neuen, menschenfeindlichen Umständen zurechtfinden musste, ohne zu verstehen, warum, eine jener Lebensgeschichten, bei denen es einem das Herz zusammenzieht, bei denen einem aber auch das Herz aufgeht, wenn man erlebt, wie sich Alice aufzulehnen und ihren eigenen Weg zu suchen begann, den sie dann auch fand, und auch hier war die Musik eine grosse Helferin und Heilerin.


Die Auflehnung gehört zu Erica, nicht nur diejenige, die sie selbst brauchte, denn sie musste sich ein Leben lang mit gesundheitlichen Problemen und deren medizinischen Behandlungsversuchen herumschlagen (ihr Buch "Irren ist ärztlich" aus dem Jahr 1986 erzählt davon), sondern auch diejenige gegen die Ungerechtigkeit auf der Welt und das Fehlverhalten der Menschen.

Ich erinnere mich gut, wie mich Erica während des Bosnienkrieges anrief und um meine Unterschrift zu einem Aufruf bat, der verlangte, dass der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić, der am Sitz der UNO in Genf zu einer Konferenz der Kriegsparteien erwartet wurde, bei seiner Ankunft auf dem Flughafen verhaftet werden sollte. Ich vertrat in dieser Frage den realistischen Standpunkt und sagte ihr, ich halte dies für aussichtslos, da er unter dem Schutz der UNO stehe und nicht privat in die Schweiz reise.

Ich glaube, Erica war nie so enttäuscht von mir wie damals, ich sah sie einen Moment lang als eine ihrer unerschrockenen Prättigauer Frauen, die sich den Teufel um die UNO scheren, sondern einem Kriegsverbrecher am liebsten hunderttuusig Öpfelschnitz a Grind würde rüere.

Unsern letzten gemeinsamen Auftritt hatten wir an der Fukushima-Demonstration in Kleindöttingen vor zwei Jahren, wo ich als Restrisiko auftrat und Erica ihr Tschernobyl-Lied sang, ein Lied der Auflehnung gegen das Katastrophenpotential, mit dem wir dank der Atomtechnologie leben müssen, ein Lied, in dem der Vers steht

"bi all däm dänk ich, dass mer müess

uf all Barrikade, wo s irgendwo git"


Ich kann Ericas Werk hier nicht umfassend beschreiben, es fehlen z.B. die Fachbücher, es fehlen die Kinderbücher, und ich möchte nur noch sagen, dass in ihren Büchern und Liedern auch sehr viel Heiteres zu finden ist, sie ist nicht einfach die Chefanklägerin gegen alles Ungerechte; von ihr stammt z.B. auch ein so skurriles Liedchen wie das vom Weltrekord, bei dem jeder Spitzensportler jedes Jahr ein bisschen höher und weiter springt, bis sie am Schluss alle im Weltall als Satelliten auf einer Umlaufbahn um die Erde fliegen und nichts sehnlicher hoffen, als dass sie von ihren Rekordflügen wieder zurück auf die Erde springen können.


Was ich Dir wünsche, liebe Erica: soviel Glück wie möglich, soviel Gesundheit, wie Du sie andern wünschst, und einen Höhenflug nach dem andern, mit der ausdrücklichen Bitte, von jedem wieder herunter zu kommen zu uns.


                                                                      Franz Hohler



Franz singt Ericas Lied "Normal" auf seine Weise, und Marianne Schauwecker hält es geistesgegenwärtig fast von Beginn an fest: 






                                                                                    

                                                                    Danke Franz                                                        Franz und die Musiker von noi insieme           

3. Swiss-Re-Milizpreis 2013

Am 28. Mai 2013 erhielt Erica den Swiss-Re-Milizpreis für die Gründung und den Aufbau der Schweizerischen Gesellschaft für Muskelkranke - heute Muskelgesellschaft. Der Swiss-Re-Milizpreis wird an Menschen vergeben, die über Jahre ein wesentliches Ehrenamt ausübten. Dieser Preis wurde von Herrn Bremi ins Leben gerufen und wird hälftig von ihm und von der Swiss-Re getragen. Walter Kielholz überreichte den Preis, Ellen Ringier hielt die Laudatio. Ein Quintett aus Ericas Kammerorchester Wollishofen umrahmte die Feier. 

                                                        

Walter Kielholz verleiht die Urkunde    Walter Kielholz, Erica, Ulrich Bremi, Ellen Ringier        Quintett                             Ericas Dankesrede


4. Werkauftrag Pro Helvetia 1990

Im Jahr 1990 erhielt Erica einen Werkauftrag für das Buch "Das Schweizerkreuz nicht mehr ertragen", das von Julian Dillier 1991 im Nussbaum-Verlag veröffentlicht wurde und die Geschichte der Flüeli-Ranft-Flüchtlinge und ihrer VersteckerInnen erzählt. 


5. Werkauftrag Pro Helvetia 2013

Im Jahr 2013 erhielt Erica einen Werkauftrag von Pro Helvetia für das Buch "Rosenkind", das 2014 im Zytglogge-Verlag erschien und die Geschichte von zwei Schwestern erzählt, die im Erziehungsheim Rathausen 'versorgt' waren und von denen eines von einer Nonne so hart geschlagen wurde, dass es seinen Verletzungen erlag.